Mit hippen Plakaten gegen Abe: In Japan hat sich eine neue Protestbewegung entwickelt, die mehr junge Menschen anzieht. © Foto: Sonja Blaschke
Mit hippen Plakaten gegen Abe: In Japan hat sich eine neue Protestbewegung entwickelt, die mehr junge Menschen anzieht. © Foto: Sonja Blaschke

Coole Kids gegen Abe

Einen großen Schluck Wasser trinken, schnell den Lippenstift nachziehen und prüfen, ob die Ohrringe gut sitzen… Gleich geht es für die 22-jährige Nanako Fukushima wieder zurück in die Mitte des Geschehens. Sie ist eines von mehreren coolen jungen Aushängeschildern für eine Protestbewegung, die in den letzten Wochen immer mehr Zulauf gefunden hat. Die SEALDs, kurz für „Students Emergency Action for Liberal Democracy“ plus „s“, treffen sich zurzeit manchmal mehrere Tage in Folge vor dem japanischen Parlament. Dort protestierten die jungen Leute, die meisten Anfang 20, mit viel Energie und mitreißenden Sprechchören im Rap-Stil gegen die Regierung von Premierminister Shinzo Abe und dessen neue Verteidigungsgesetze (mein Artikel dazu in der Wiener Zeitung). „Lasst uns Japan vor Abe beschützen„, „Abe, tritt zurück“, „lasst uns die Verfassung verteidigen“, skandieren sie im Takt.

Dazwischen sprechen namhafte Oppositionspolitiker, wie der frühere Minister für die Bewältigung der Fukushima-Krise von der demokratischen Partei, Goshi Hosono. Die frühere Parteichefin der Sozialdemokraten, Mizuho Fukushima erinnerte in ihrer Rede gar an das Engagement der „Weißen Rose“ in München zur Nazi-Zeit. So schlimm sei es zwar in Japan noch nicht. Aber sie wie die Demonstranten handeln nach dem Motto „Wehret den Anfängen“. Über 60 Prozent der Bevölkerungen halten nichts von Abes Sicherheitspolitik. Erstmals in seiner Amtszeit hat die Zahl derer, die ihn ablehnt, die Zahl seiner Unterstützer übertroffen.

kokumin namenna
kokumin namenna

Das Auftreten der SEALDs-Studierenden ist mediengewandt und professionell. Sie haben ein einprägsames Logo, das vom Stil her auch Werbung für eine hippe Klamottenmarke im College-Stil sein könnte. Ein Team von Studierenden mit Fremdsprachenkenntnissen übersetzt die Tweets und Facebook-Nachrichten auch ins Englische. Über die sozialen Netzwerke konnten sie auf einmal eine demographische Gruppe zu Protesten auf die Straße locken, die sonst dort selten zu sehen ist. Ein Journalist der kommunistischen Zeitung „Akahata“ erklärt vor Ort: „Demonstrieren, das war in den Augen vieler junger Leute nur etwas für alte Männer.“ Das hat sich offenbar geändert – und die Methoden auch. Weil auf dem dunklen Gehsteig, auf den die Demonstranten von einem Übermaß an Polizei gedrängt wurden, ihre Plakate kaum zu entziffern sind, laden manche diese kurzerhand auf ihren Tablet PC. So leuchten sie auch im Dunkeln. „Halt‘ uns nicht zum Narren„, schreibt eine darauf. Und viele Demonstranten rufen es mit den Wortführern im Chor, „kokumin namenna!“.

Polizeiaufgebot
Polizeiaufgebot

Die Polizei versucht unterdessen alles, um zu verhindern, dass sich die Demonstranten an einer Stelle sammeln. Sie trennt die demonstrierenden Gruppen bewusst, hält Fußgängerströme auf, angeblich, um Verletzungen zu verhindern. „Lasst uns durch“, rufen die Demonstranten zunehmend entnervt, aber keiner geht weiter. „Abe will nicht, dass eine große Menschenmenge auf einer Stelle zu sehen ist, die gegen seine Politik protestiert“, sagt die 72-jährige Kayoko Hanaue. Sie kommt seit drei Jahren jeden Freitag vors Parlament, und in letzter Zeit noch häufiger. Dort demonstrierte sie erst gegen die Atomkraft, nun gegen die neuen Sicherheitsgesetze, die Abe durchs Parlament zu peitschen versucht, sowie seinen Plan, die Verfassung zu ändern. Sie konnte beobachten, wie das Polizeiaufgebot von Mal zu Mal wuchs. Früher sei sie unpolitisch gewesen, sagt Hanaue. Doch was die Politiker in den letzten Jahren in ihrem Land geboten hätten, vor allem Abe, habe sie als so dumm gefunden, dass sie etwas dagegen tun wollte.

Eines der Probleme in Japan sei, dass sich die meisten Medien in Japan auf die Seite der Regierung stellten und sich selbst zensierten, sagt Hanaue. Sie habe aus Protest gegen die Berichterstattung bei NHK, dem staatlichen TV-Sender, schon mehrfach dort angerufen. Das sollten noch viel mehr Menschen tun, findet sie. Je nachdem, welches Medium man in Japan konsumiere, bekäme man von den Protesten nichts oder nur wenig mit. „Die Männer lesen nur die Wirtschaftszeitung Nikkei, die darüber nicht berichtet. Sie interessieren sich nur für die Aktienkurse“, sagt Hanaue. „Die denken nur an ihren Chef.“ Frauen würden da anders ticken und sich eher für eine Sache engagieren. Sie empfiehlt – wie seit der Dreifachkatastrophe von 2011 viele – die Tokyo Shimbun, eine kleine, unabhängige Zeitung. „Früher waren wir frei“, sagt die Seniorin, „aber inzwischen denken alle gleich. Die Japaner schalten ihren eigenen Kopf nicht ein.“ Sie sehe die Gefahr, dass es für den Widerstand vielleicht irgendwann zu spät sei. Wie bei Hitler. Dieser Vergleich fällt in Japan dieser Tag oft.