Zwei Wissenschaftler vor dem Belle II-Großdetektor in Tsukuba. © Sonja Blaschke
Zwei Wissenschaftler vor dem Belle II-Großdetektor in Tsukuba. © Sonja Blaschke

Kosmisches Rätsel Mensch

Was geschah nach dem Urknall? Deutsche Physiker helfen beim Aufbau eines Teilchenbeschleunigers in Japan

„Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“ – nichts wünschte sich Goethes Faust, sehnlicher. Das war 1808. Heute setzen Teilchenphysiker einige Schritte vorher an. Sie forschen nach den Ursprüngen des ganzen Universums. Dabei interessiert sie besonders, was in den magischen drei Minuten nach dem „Urknall“ passierte, vor 13,7 Milliarden Jahren. Denn sie legten nach Ansicht
der Physiker den Grundstein für die Welt heute, für Zeit, Raum und Materie.

Teilchen kollidieren

Um solche Hypothesen im Experiment zu bestätigen, haben sich Forscher aus aller Welt 60 Kilometer nordöstlich von Tokio eingefunden, um an der Fortentwicklung des japanischen Teilchenbeschleunigerrings „KEKB“ zu arbeiten. Bis er im Juni 2011 abgeschaltet wurde, wies er die weltweit höchste „Luminosität“ (bzw. „Intensität“) auf. Das heißt, nirgendwo kollidierten mehr energiereiche Elektronen und Positronen. Die Beobachtung der erzeugten Zerfallsprozesse erhöht die Chance, mehr über den Ursprung des Universums herauszufinden. Läuft alles nach Plan, soll die Anlage 2014 als „Super-KEKB“ neu starten. Dann sollen 40 Mal mehr Teilchen kollidieren als zuvor. „Das ist unglaublich!“, sagt Prof. Oide vom KEK, Japans Forschungszentrum für Hochenergiephysik, über die Steigerung.

Mit dem Hammer

Wie wird sich die neue Super-KEKB-Anlage vom bekanntesten Beschleuniger, dem 27 Kilometer langen „Großen Hadronen-Speicherring“ (LHC) des CERN in Genf, unterscheiden? Prof. Christian Kiesling vom beteiligten Max-Planck Institut für Physik in München erklärt: „Stellen Sie sich vor, Sie haben von Mutter Natur ein Geschenk bekommen. Am LHC wird ein Hammer genommen und auf die Geschenkbox draufgeschlagen, um zu schauen, was sich darin verbirgt.“

Dabei werde sehr viel Energie eingesetzt, im Gegensatz zur Vorgehensweise in Japan: „Wir nehmen das Paket in die Hand und schütteln es, um Aufschlüsse über seinen Inhalt zu bekommen.“ Zwar hätten Kiesling und seine Mitarbeiter auch lange den Hochenergie-Ansatz des LHC verfolgt. Doch just als die Fortschritte dort ins Stocken zu geraten schienen, kamen Prof. Oide und Prof. Yamauchi vom japanischen KEK nach München. Sie suchten nach einer Detektortechnik , die auch im Niedrigenergiebereich funktionieren würde – und wurden fündig.

Stolz präsentierte Prof. Jochen Schieck vom ebenfalls involvierten Exzellenzcluster „Universe“ aus München den geradezu winzigen „Pixel-Vertexdetektor“. Das „weltweit einzigartige Gerät“ aus Deutschland hat die Größe einer schmalen Getränkedose; der Belle II-Großdetektor, in dessen Mitte er sitzt, hat einen Durchmesser von zehn Metern und wiegt 1500 Tonnen.

Hoffen auf die Kollision

Er wird an der engsten Stelle des Kanals eingebaut, dort, wo künftig Elektronen und Positronen, die mit Lichtgeschwindigkeit durch den drei Kilometer langen Q-förmigen Beschleuniger gejagt werden, aufeinander prallen und zerfallen. Je dünner der „Lichtstrahl“, desto höher sei die Chance auf eine Kollision. Im Super-KEKB wird der Strahl gerade ein Mikrometer (0,0001 Zentimeter) dick sein. Spezielle Magnete entlang der Strecke lenken ihn auf die richtige „Flugbahn“, bis es zum erhofften Crash kommt.

Bereits das Vorgängerexperiment KEKB verzeichnete beachtliche Erfolge. Es trug dazu bei, die Theorie der japanischen Physiker Prof. Kobayashi und Prof. Maskawa zu bestätigen. Sie hatten 1973 eine dritte Generation von „Quarks“ (subatomare Elementarteilchen) vorausgesagt, die später auch nachgewiesen wurden. Dies brachte ihnen 2008 den Nobelpreis ein. Von weiteren Entdeckungen einer „neuen Physik“ träumt auch der französische Professor Karim Trabelsi, einer von bis zu 500 beteiligten Wissenschaftlern aus 19 Ländern – darunter 79 deutsche Forscher. Sie hoffen, das „Standardmodell“ der Physik zu revidieren, denn es kann einige Phänomene nicht erklären, zum Beispiel die Phase direkt nach dem Urknall. Kurzfristig gab es genauso viel Materie wie Antimaterie, bis sie sich gegenseitig zerstörten und dabei Energie freisetzten. Als das Universum abkühlte, blieb infolge einer Asymmetrie ein leichter Überschuss an Materie zurück. Diesem Rest haben das bekannte Universum mit seinen etwa 100 Milliarden Galaxien, unser Sonnensystem und nicht zuletzt der Mensch seine Existenz zu verdanken.

Nur etwa 4,5 Prozent der Bestandteile des Kosmos sind bekannt. Der Rest bestehe aus rund 23 Prozent „dunkler Materie“, über die man nur nebulöse Vorstellungen habe, wie Prof. Atsuto Suzuki, Generaldirektor des KEK, erklärte. Etwa 72 Prozent bestehe aus „dunkler Energie“, auch dabei tappe die Wissenschaft noch völlig im Dunkeln. Mögliche Erkenntnisse haben ihren Preis: Während der Umbau zum Super-KEKB von Japan finanziert wird (400 Millionen Euro), werden die Kosten für den Umbau des Großdetektors Belle II (40 Millionen Euro) von mehreren Parteien geschultert. Deutschlands Beitrag beläuft sich auf rund 5,2 Millionen Euro.