Japans Jugend entdeckt die Geschichte
Japans Jugend entdeckt die Geschichte

Japans Jugend entdeckt die Geschichte

Japan hat seine Rolle im Zweiten Weltkrieg bis heute nicht aufgearbeitet. Filme, die Japan kritisch zeichnen, finden keinen Verleih. Die „Selbstbeschränkung“ greift um sich.

Am 15. August jährt sich die Kapitulation Japans zum 70. Mal. Damit endete der zweite Weltkrieg auch in Asien. Zugleich kam die aggressive Expansion Japans in Ostasien, die über Jahrzehnte währte, zu einem Ende. Noch heute ist vieles von dem, was damals passierte, in Japan ein Tabuthema. Greueltaten der japanischen imperialen Armee in China und Südkorea werden kleingeredet oder gar nicht erst zur Sprache gebracht. Das betrifft auch das Kino. Filme, die die japanischen Soldaten in einem schlechten Licht erscheinen lassen, vor allem, wenn sie von ausländischen Regisseuren gedreht wurden, haben es schwer, in Japan einen Verleih zu finden. Das jüngste Opfer der japanischen „Selbstbeschränkung“ (自粛, ein Schlagwort derzeit in Japan) war Angelina Jolies Film „Unbroken“. Ein aus deutscher Sicht harmloser Film.

Auch „John Rabe“ des deutschen Regisseurs und Oscar-Preisträgers Florian Gallenberger aus dem Jahr 2009 fand keinen Verleih. Darin geht es um das „Massaker von Nanking“, einem besonders dunklen Kapitel in der japanischen Geschichte. Doch einige engagierte japanische Bürger wollten diese de facto-Zensur nicht hinnehmen. Sie erwarben die Aufführungsrechte und zeigten „John Rabe“ Mitte Juli in einem Bildungszentrum in Tokio. Mit durchschlagendem Erfolg. Vor dem Kino bildeten sich lange Schlangen, „seit Tagen klingelt unser Telefon“, sagte eine der Veranstalterinnen. Sie werten den Ansturm als Zeichen für einen Umbruch in Japan, der sich nicht zuletzt darin zeige, dass zurzeit so viele junge Menschen vor dem Parlament gegen die Abe-Regierung demonstrierten.

Dass ich den Film sehen konnte, war einem Zufall zu verdanken. Eine ältere Dame, die ich an einer solchen Demonstration kennengelernt hatte, hatte mir den Flyer in die Hand gedrückt. Zum Glück hatte ich mein Ticket vorreserviert. Andere mussten unverrichteteter Dinge nach Hause gehen. Meine Beobachtungen bei der Filmvorführung habe ich für die „NZZ am Sonntag“ aufgeschrieben.